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Kasseler Odyssee – Abenteuer und Kunstgenuss

Kasseler Odyssee – Abenteuer und Kunstgenuss

Reisebericht – Die Ed auf der documenta fifteen

 

Am Donnerstag, den achten September, machte sich das frisch gegründete Kunstprofil auf zur allerersten Exkursion: drei Tage nach Kassel zur documenta fifteen. Zuvor hatten wir uns im Unterricht intensiv auf unseren Besuch vorbereitet. Die Antisemitismusvorwürfe waren selbstverständlich allgegenwärtig im Unterrichtsgespräch und wir haben alle gemeinsam dazu recherchiert. Wir fuhren also nicht nur mit der Intention nach Kassel, uns von schöner Kunst beseelen zu lassen, sondern diese auch kritisch zu hinterfragen.

Jetzt zurück in die Hallen des Lübecker Bahnhofes: Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich. Aus jenen Gesprächsfetzen, die den Bahnhofslärm übertönten, konnte man die Vorfreude auf die anstehenden Erlebnisse heraushören. Abgesehen von ein paar straffen Umsteigezeiten verlief die dreistündige Fahrt ohne weitere Zwischenfälle. Von denen würden wir noch genug auf der Rückfahrt haben …

In Kassel angekommen trennte sich die Klasse in zwei Teile (Wir waren in zwei verschiedenen Gebäuden untergebracht, die relativ weit auseinander lagen, aber zum selben Hostel gehörten). Die erste, weitaus größere Gruppe erreichte mit der Tram ziemlich schnell das Hostel und musste mit Entsetzten feststellen, dass diese mehr Bruchbude als Hostel war. (Hierbei sei anzumerken, dass, abgesehen von den Betreibern, niemanden hier die Schuld trifft. Die Kassler Unterkünfte waren, aufgrund der documenta völlig überfüllt und ausschließlich dieses Hostel hatte noch mehr oder weniger Kapazitäten für eine Schulklasse. Wir hätten diese Exkursion anders also gar nicht unternehmen können!)

Es folgte ein tiefgründiges Gespräch mit zwei anderen Touristen aus unserem Hostel, die weder Deutsch noch Englisch sprachen und denen wir kurzerhand drei Matratzen entwendeten, weil diese uns mangelten und sie einige im Überfluss hatten. (Ich glaube sie waren recht verwirrt – zumindest haben sie mir so hinterher geguckt, als ich eine Matratze aus ihrem Zimmer ins Treppenhaus chauffierte.) Nach der ernüchternden Feststellung, dass Mimik und Gestik nicht zur Kommunikation ausreichen, und einem realen, lebensgroßen Tetris-Spiel mit Betten und Matratzen war es auch schon ziemlich spät. Die Komplikationen wurden mit einer unvorstellbar großen Portion Humor überwunden und man machte sich auf in den örtlichen Rewe, um wenigstens ein Problem, den Hunger, zeitnah zu lösen.

Die Nachtruhe wurde eventuell etwas strapaziert, das dürfte aber niemanden ernsthaft gestört haben – bis auf die zwei weiteren Touristen waren wir alleine. Und man könnte unser, dann im Grunde doch recht zivilisiertes Verhalten auch als gelungene Heimzahlung für den stetigen Remouladenduft ansehen, mit dem die beiden das ganze Haus beglückten. Unsere flackernden Deckenlampen sorgten für die nötige Partystimmung – wobei, das sei anzumerken, es beim Nudelkochen dann irgendwann zu stören anfing. Kleiner Tipp für den nächsten Gast: Ein, zwei leichte Schläge gegen die Lampe sollten das Flackern für die nächsten Minuten unterbinden, ansonsten hat die totale Finsternis auch einiges an Atmosphäre zu bieten. Man sollte heutzutage ja eh an Energie sparen …

Am Folgetag besuchten wir nach dem gemeinsamen Frühstück in unserer jeweiligen Gruppe zum ersten Mal die documenta. Nachdem sich die beiden Gruppen vereint hatten und auch vereint bleiben würden – die vier Schüler:innen plus Herrn Wien würden wohl auch noch in unsere Unterkunft passen. Es macht schlichtweg keinen Unterschied ob man zu 10. oder zu 12. in einem Viererzimmer schläft… – und wir unser Gepäck abgegeben hatten, stellten wir uns zum Treffpunkt und warteten auf unsere Führer, die uns in die Grundlagen der documenta einweisen sollten, bevor wir sie auf eigene Faust erkunden würden.

Der Treffpunkt war ein großes, gelbes C. Wir warteten und warteten und warteten. 15 Minuten nach der verabredeten Zeit standen wir immer noch ziemlich verloren auf dem großen Friedrichsplatz neben unserem C und warteten. Da erblickten wir am Horizont eine Frau, die im stetigen Tempo auf uns zu kam. Sie gehörte zum documenta-Team und erklärte uns, dass wir am falschen C stehen würden. Wir bewegten uns also ca. 500 Meter weiter zum grünen C und siehe da: Dort warteten unsere Führer.

Zuvor schrieb ich, dass uns die Führer:innen in die Grundlagen der documenta einweisen würden, nun, das war eine maßlose Untertreibung. Die folgende zweistündige Führung war wirklich sehr intensiv. Es war unglaublich interessant. Wir haben das Konzept kennengelernt, über diverse Künstler:innen geredet und ganz viel Kunst betrachten dürfen. Die Führung war allerdings mit einer so etlichen Anzahl an Fakten bis obenhin vollgestopft, dass es schlichtweg nicht möglich war, sich alles zu merken, auch wenn man es mit dem besten Ehrgeiz versuchte. Trotzdem konnten wir, die von Fakten Erschlagenen, das Wichtigste mitnehmen und waren von so manchem Werk tief beeindruckt. Mehr oder weniger. Ob die Roma-Wandteppiche jetzt „sehr inspirierend“ (sinngemäß Frau Remann) oder “nicht wirklich weiter beeindruckend” (sinngemäß Herr Wien seien), darüber ließ sich wohl diskutieren.

Nachdem die Führung durch das Fridericianum ging, sind wir danach in die documenta-Halle gegangen. Davor gab es selbstverständlich eine Stärkung beim umliegenden Food Market, bestehend aus Flammkuchen, Bowls oder Burgern. Die documenta-Halle hat viele von uns sehr begeistert. Im Zentrum dessen stand eine große Ausstellungshalle. Vorne in der Halle gab es einen großen Pavillon mit ganz vielen verschiedenen Porzellanarbeiten. Es erinnerte ein wenig an einen Marktstand, da viele Plastiken Obst, wie Bananen, Äpfel oder andere Lebensmittel darstellten.

In der Mitte der Halle war eine große Skaterampe, die jeder Besucher bemalen und befahren konnte. Im letzten Drittel stand eine große Druckpresse, die die Künstler:innen auch für Workshops benutzen konnten. Überall in der Halle waren noch verschiedene Kunstwerke, wie z.B. Pappaufsteller oder Lichtinstallationen aufgebaut. Eine Wand wurde von einem großen Gemälde dominiert, das ganz viele überdimensionale Portraits zeigte.

Im Anschluss an diese Besichtigung hatten wir noch Zeit, uns eigenständig in Kassel zu bewegen und Stationen der documenta, die uns interessierten abzuklappern. Meine Gruppe war relativ groß und nachdem wir etwas durch die Parkanlagen von Kassel irrten, fanden wir dann doch noch einige Ausstellungsorte. Analoge Karten zu lesen ist doch schwieriger, als sein Ziel in den allseits bekannten Navigationsdienst des Mobiltelefons einzutippen. Am Abend ging es dann zurück Richtung Hostel. Wir kauften noch gemeinsam ein und dann kochte jedes Zimmer für sich und lies den Abend gemütlich, mit der ein oder anderen Runde „Werwolf“ ausklingen.

Der nächste Morgen begann schon mit dem Packen unserer Sachen – Heute Abend würden wir schon abreisen und glücklicherweise konnten wir unser Gepäck bei der documenta einlagern und mussten es nicht nochmal in unserer dubiosen Unterkunft zurücklassen.

Heute stand das Erkunden der documenta auf eigene Faust im Fokus. Im Voraus hatten wir eine Art Reiseführer erhalten, der uns bestimmte Routen empfahl, die wir zu Fuß und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in kleinen Gruppen bestritten. Einen Ort suchten die meisten aber unabhängig ihrer Routen auf: Das alte Hallenbad Ost. In und vor der ehemaligen Schwimmhalle wird die Kunst des Kollektivs Taring Padi ausgestellt: die Künstlergruppe, die mit ihrem antisemitischen Banner Aufsehen erregten. Auch wenn dieser Gruppe ein Fehler unterlaufen ist, dessen Widerlichkeit so groß ist, dass es mir an Worten mangelt, die angemessen wären, diesen Fehler in seiner ignoranten Schlechtigkeit auch nur im Ansatz zu beschreiben, wollten wir uns zum einen damit auseinandersetzen, wie solche Fehler passieren können, und uns ein Bild der Arbeit dieses Kollektivs machen und zum anderen zog uns auch die außergewöhnliche Kuratierung in einem alten Hallenbad an.

Im geistigen Sinne wurden wir von dieser Ausstellung wohl nicht inspiriert, dafür aber im Sinne der Kuratierung und der praktischen Umsetzung. Diese großen, bunten Banner imponieren und es werden auch einige richtige Werte thematisiert (faire Parlamentswahl in Indonesien, Belange der indigenen Bevölkerung Neuguineas, Menschenrechte) und man kann sicherlich nicht allen Mitgliedern Taring  Padis Antisemitismus vorwerfen: Höchstens das Wegschauen und Akzeptieren, was schon schrecklich genug ist.

Beeindruckt von der schier endlosen Masse an Kunst taumelten wir weiter durch die Straßen von Kassel und kamen an weiteren Ausstellungsorten wie der Orangerie (ein großes Schloss mit riesigem Schlossgarten) oder dem Rondell (einem ehemaligen Geschützturm) vorbei. Am Nachmittag trafen wir uns alle am Friedrichsplatz, dem Zentrum der documenta und kauften uns den letzten Proviant für unsere Rückfahrt. Dann nahmen wir die Tram Richtung Bahnhof und eine abenteuerliche Zugfahrt sollte ihren Lauf nehmen.

Alles fing damit an, dass sich unser Zug um eine halbe Stunde verspätete. Halb so wild, dachten wir uns, das ist man von der Deutschen Bahn ja gewohnt. Auch die Anschlusszüge sollten noch erreichbar sein. So weit so gut. Nach einigen Drängeleien am Bahnhof verlief die nächste Stunde im Zug ohne weitere Problematiken. Bis der Zug plötzlich hielt. “So liebe Fahrgäste, wie ich gerade erfuhr, sind ein paar Spackos auf den Schienen nach Hamburg unterwegs und der Zug muss hier auf unbestimmte Zeit halten”, schallte es sinngemäß aus den Lautsprechern.

Daraufhin stand der ganze Zug ziemlich lange still, und die Reisenden wurden mit DB-Keksen und Tetrapackwasser vertröstet. Im Fünf-Minuten-Takt, meldete sich der Zugführer und unterhielt die Fahrgäste mit humorvollen Kommentaren der Situation, somit wurde der Stopp halbwegs erträglich. Doch inzwischen waren die meisten erschöpft und müde, und Klagelaute nach Essen und einem warmen Bett, dass man sich nicht mit zwei anderen Menschen teilen muss, erfüllten den Waggon.

Irgendwann konnten wir dann doch noch weiter fahren und kamen am Hamburger Bahnhof an, wo wir umstiegen und diesmal auch noch rechtzeitig einen Zug nach Lübeck erwischten. Zwar einige Stunden später als ursprünglich geplant, aber immer noch vor Mitternacht kamen wir in Lübeck an und verabschiedeten uns herzlich. Und inzwischen bin ich mir sicher: Gerade das Pech, das unsere Exkursion überschattete, war eigentlich großes Glück: Wir nahmen alles mit Humor und es entstand eine passable Klassengemeinschaft. Es entstanden einige Freundschaften zwischen Menschen, die vorher kaum miteinander geredet hatte, denn dazu wird man zu zehnt in einem Vierer-Apartment tatsächlich mehr oder weniger gezwungen … Und geschadet hat das niemandem!

Ein großer Dank gilt außerdem der Kulturmark, welche Eintrittsgelder und das Vermittlungsangebot förderte.

 

Kalle P. Demmert, Ed