„Am 8. März war der Weltfrauentag, ein Tag an dem auf der ganzen Welt für Gleichberechtigung geworben wurde, aber auch ein Tag, an dem wir mal wieder gesehen haben, dass dieses Ziel noch nicht überall erreicht wurde.“ So startet Helena Stöter vom Johanneum in ihre Debatte. Das Thema lautet: Sollen Mädchen und Jungen in naturwissenschaftlichen Fächern getrennt voneinander unterrichtet werden? Zusammen mit Mark Adler, ebenfalls vom Johanneum, vertritt sie die Contra-Seite und argumentiert gegen eine Geschlechtertrennung. Sebastian Lescow vom Katharineum und Selina Höhn vom Gymnasium am Mühlenberg haben das Los für die Pro-Seite gezogen.
Die Debatte findet im Rahmen des Regionalwettbewerbs Jugend debattiert statt, der in diesem Jahr erstmals vom Katharineum ausgerichtet wird. Schülerinnen und Schüler der Klassen 8-12 aus vier Gymnasien treffen sich morgens im virtuellen Plenum. Nach einer gemeinsamen Begrüßung und einem kurzen Technik-Check, begegnen sich die Teams der ersten Debattenrunde in Break-out-Rooms, um sich kennen zu lernen und sich inhaltlich abzustimmen. In dieser Zeit brieft Frau Gerresheim, die Organisatorin des Wettbewerbs, die Juroren.
Ihre Aufregung verbergen die meisten Teilnehmer:innen sehr gut. Bei Helena und ihren Mitstreitern aus der Altersgruppe I startet die Debatte mit der Frage, ob es ein Rückschritt wäre, die Geschlechter zu trennen. Aber auch die Betonung auf Jungen und Mädchen an sich wird diskutiert. „Wir sind in einer Zeit, in der es immer bunter und toleranter wird“, ermkt Helena an; sie meint, dass es in unserer Zeit mehr als nur zwei Geschlechter gibt und dass sich alle „neuen“ Geschlechter unterordnen müssten, weil sie sich zwischen dem männlichen bzw. weiblichen Kurs entscheiden müssten. Ihre Eröffnungsrede beendet sie mit den Vorurteilen, die entstehen könnten, wenn die Geschlechter nicht mehr so viel miteinander zu tun hätten. „Vorurteile sind in unserer heutigen Zeit immer noch ein Problem“ stimmt Selina von der Pro-Seite zu, doch weil die Trennung nur in einigen Fachstunden erfolgen würde, ist sie davon überzeugt, dass keine neuen Vorurteile oder Klischees aufkommen würden.
„Während Mädchen meist etwas zurückhaltender sind, sind Jungen oft etwas vorpreschender.” Mark vom Johanneum denkt, dass sich die verschiedenen Geschlechter gerade in den Naturwissenschaften sehr gut ergänzen und sich gegenseitig neue Sichtweisen vermitteln können. Ihm entgegnet Sebastian, dass Mädchen an reinen Mädchenschulen bessere Leistungen erzielen. Man könnte daher vermuten, dass es Mädchen leichter fällt „unter sich“ zu lernen und sie sich dann mehr trauen.
Eine Debatte dauert 24 Minuten, die Hälfte davon ist eine freie Aussprache, in der es einen lebhaften Schlagabtausch zwischen beiden Seiten gibt. Am Ende zieht jeder in seiner Schlussrede noch einmal Bilanz. Für Sebastian war das wichtigste Argument, dass Mädchen in homogenen Lerngruppen mehr Interesse und mehr Spaß an Naturwissenschaften entwickeln. Helena spricht den Druck für diejenigen an, die sich nicht an das weibliche oder männliche Geschlecht anpassen können oder es auch nicht wollen. „Für mich war das stärkste Argument, dass Mädchen mehr Selbstbewusstsein vermittelt wird, denn sie müssen keine abwertenden Kommentare von Jungen befürchten und können einfach sie selbst sein”, erklärt Selina. Für Mark sprach zum Schluss vor allem das Argument des Aufwands gegen eine Geschlechtertrennung, weil man mehr Räume und Lehrer bräuchte, obwohl gerade in den Naturwissenschaften ohnehin schon Lehrermangel herrsche.
Nach der Debatte ziehen sich die Jurymitglieder zur Beratung zurück. Im Feedback der Jury ernten alle Teilnehmer ein Lob für ihre Sachkenntnis. Jeder Debattantin und jedem Debattanten werden danach eine Stärke und ein Tipp für die nächste Debattenrunde mitgeteilt.
Gefragt, wie sie sich vorbereitet haben, antworten einige, sie hätten Bücher gelesen und im Internet Argumente gesucht, andere haben sich gegenseitig beraten und Experten angerufen, um Fakten zu sammeln und neue Sichtweisen zu den Themen zu erhalten. Es fasziniert uns sehr, wie viele Argumente die Debattierenden anschließend auch ohne helfende Aufzeichnungen behalten und aus dem Gedächtnis in die Debatten einbringen können.
Warum haben die Teilnehmenden diese aufwändige Vorbereitung neben dem Distanzunterricht auf sich genommen? „Mir gefällt am Debattieren, dass man sich in Themen hineindenken, in Sichtweisen hineinversetzen und auch Seiten annehmen muss, die man so noch nicht kennt. Ich finde das eine super wertvolle Fähigkeit zu lernen, sich in Positionen reinzuversetzen, die man selbst nicht vertritt, denn ich denke, das hilft auch ganz viel zu verstehen, warum andere Menschen handeln, wie sie handeln, und das finde ich einfach reizvoll an dem Format“ (Louisa Gülpen, Johanneum).
Wenig später beginnen die Rückrundendebatten zu den Themen „Sollen weiterhin Autobahnen gebaut werden?“ und „Soll der Online-Handel verpflichtet werden, Retouren wieder oder weiter zu verwerten?“. Im Vorfeld befragt, haben einige Schüler:innen gesagt, zu welchen Themen sie gerne einmal debattieren würden. Dabei kam heraus, dass die meisten gerne Themen mögen, die aktuell sind und sie persönlich betreffen.
Die Debatte, der wir heute in der Altersstufe I zuhören durften, war sehr interessant. Das Zuhören war unterhaltsam und spannend, weil die Gründe beider Seiten überzeugend waren, so dass man sich auch selbst nicht gleich entscheiden konnte. Die Frage, ob durch eine Geschlechtertrennung in den Naturwissenschaften mehr Gleichberechtigung erreicht würde, lässt sich so einfach nicht klären. Vielleicht fallen euch noch weitere Gründe für oder gegen diese Unterrichtsform ein. Und falls ihr jetzt selbst Lust aufs Debattieren bekommen habt, könnt ihr vielleicht nächstes Jahr bei Jugend debattiert antreten.
Jean Klünder, 9d und Laura Davidsmeyer, Ea
Ergebnisse: Qualifiziert für den Landeswettbewerb im Kieler Landtag sind dieses Jahr
Altersstufe I
- Platz: Hanna Ahler, Katharineum
- Platz: Helena Stöter, Johanneum
Altersstufe II
- Platz: Maike Grammerstorf, Stormarnschule
- Platz: Louisa Gülpen, Johanneum