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Unser altsprachlicher Zweig

Alt-Griechisch: 3000 Jahre alt, aber hochaktuell – Interview mit den Griechisch-Lehrer*innen Teil II

Hier nun folgt der zweite Teil des Interviews mit unseren Griechisch-Lehrer*innen; wer den ersten verpasst hat, kann ihn hier noch einmal nachlesen. Ansonsten viel Spaß beim lesen!

Griechisch und Latein –  ist beides zu lernen nicht überflüssig?

Herr Kaffka:

Nein! (lacht)

Herr Goedecke:

Welche Bedeutung die Sprachen haben, sieht man im Grunde schon, wenn man sich die modernen Sprachen anguckt. Da kann man mit dem Deutschen anfangen. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, in einem Teil einer Ansprache von Frank-Walter Steinmeier die griechischen und lateinischen Fremdwörter farbig zu unterlegen, und es ist wirklich erstaunlich, wie bunt die Seite geworden ist. Wenn sich jetzt auf der Straße zwei Hundebesitzer begegnen, benutzen die vielleicht nicht so viele Fremdwörter, aber Steinmeier verwendet wirklich alles Mögliche aus dem Lateinischen und Griechischen. Das liegt daran, dass dieses Vokabular in Politik, Philosophie und vielen weiteren Bereichen auf die Antike und die Rückbesinnung auf diese Kultur zurückgeht. Viele dieser Wörter sind auch ins Französische und Englische eingedrungen und spielen dort noch heute eine große Rolle.

Frau Saage:

Wenn man jetzt noch schaut, zum Beispiel in den Naturwissenschaften, spielen die alten Sprachen eine große Rolle und ziehen immer mehr in den Alltag ein. Ich habe es anfangs schon gesagt, Griechisch ist die Sprache, die seit 3000 Jahren gesprochen wird, denn sie ist nach wie vor im Wortmaterial da und dient auch nach wie vor als Grundlage, auf der neue Wörter gebildet werden.

GOE:

Oder auf alte zurückgehen! Ihr (die Redakteurinnen) habt es ja neulich gesehen: ἐπιδημία (Epidemia) und πανδημία (Pandemia) sind im medizinischen Bereich, mit einem etwas anderen Sinn, schon seit der Antike von Hippokrates und Galen verwendet worden.

SAA:

Ich bin neulich auf „Klon“ gestoßen, ist auch ein griechisches Wort. Ich wusste gar nicht, wie ich das ins Deutsche übersetzen würde …

GOE:

Das Pfropfreis!

SAA:

Das ist der Sprössling, den man aufsetzt, bei der Baumveredelung.

Aber auch nur als Beispiel, es gibt genug Wörter in ganz vielen Bereichen, bei denen man sagen könnte, dass es da ein entsprechendes Äquivalent in den modernen Fremdsprachen gibt. Im Einzelfall wissen wir manchmal auch gar nicht, dass diesem Wort eine altsprachliche Herkunft zu Grunde liegt. Auch nehmen wir staunend wahr, dass Naturwissenschaftler bei der Benennung von Entdeckungen immer noch auf das Griechische zurückgreifen.

KAF:

Das kann ich aus der Biologie sagen, am laufenden Band werden neue Arten entdeckt, und das ist immer noch so, dass ein Großteil der Namen mit Wörtern aus Latein und dem Alt-Griechischen gebildet wird. In der Zoologie setzt sich langsam auch ein bisschen Englisch durch, aber der Bestand, der jetzt schon da ist, geht auch nicht mehr weg: Es ist eine gewaltige Menge an Wörtern.

SAA:

Aber auch ganz neue Wörter! Bei der Naturwissenschaft könnte man sagen: Das ist ein System seit langer Zeit, dann macht man das eben so weiter. Aber in ganz anderen Bereichen hat man das Gefühl, es ist doch notwendig, auf diese beiden Sprachen zurückgreifen zu müssen.

Ist es für die Schule ohne Folgen, den Status eines altsprachlichen Gymnasiums aufzugeben?

SAA:

Das ist eigentlich eine Frage, die gar nicht an uns gestellt werden sollte.

GOE:

Das ist eine rhetorische Frage (lacht). Die Antwort ist: Es ist nicht ohne Folgen. Denn die Schule spricht damit natürlich bestimmte Eltern, bestimmte Familien an, die etwas Bestimmtes von der Schule erwarten. Es wäre, glaube ich, ein großer Verlust für das Katharineum, wenn dieser Aspekt in Zukunft fehlen würde.

KAF:

Das hat sich ja jetzt über viele Jahrhunderte gehalten, dass diese Sprachen hier gelehrt werden. Ich bin wirklich kein Verfechter von Traditionen um der Traditionen Willen. Aber das hat sich hier gehalten, weil es einen Wert hat. Selbst wenn es auf die Schülerzahlen Auswirkungen haben würde, was es hätte, muss man gucken: Auf wen hätte das Auswirkungen? Auf die Schülerschaft, die Schulgemeinschaft und die Gesellschaft. Hier in Lübeck ginge damit wirklich Kultur verloren, die wir bewahren.

GOE:

Wenn man das Kennenlernen dieses Ursprungs der europäischen Kultur für wichtig hält, dann muss man sagen, dass Katharineum ist hier weit und breit die einzige Schule, die das anbietet. Herr Kaffka hat es im Grunde eben schon angedeutet, das wäre ein großer kultureller Verlust. Die nächste Schule ist in Hamburg, oder Kiel, an der man diese Sprache erlernen kann. Ich meine schon, dass diese wenigen Schulen die Verantwortung haben, das weiter anzubieten und ernst zu nehmen.

SAA:

Wir haben tatsächlich gelegentlich Schüler*innen, die viel auf sich nehmen, um dieses Angebot anzunehmen. Wir hatten vor einigen Jahren eine Schülerin, die jeden Tag von Bargteheide pendelte, um hier Alt-Griechisch zu lernen. Wir haben momentan einen Schüler, der von einer anderen Schule hier zur Oberstufe gewechselt ist. Zum einen wegen des Lateinprofils, das es hier in Lübeck auch nirgendwo anders gibt. Und zum anderen hat er sich für Griechisch als dritte Fremdsprache entschieden und lernt jetzt munter mal zwei Jahre nach. Das ist nicht ständig und immerzu, aber das gibt es eben auch.

Welche besonderen Momente kann nur Alt-Griechisch bieten (Stichwort Griechenlandfahrt)?

SAA:

Das ist klar, diesen besonderen Moment kann nur die Griechenlandfahrt bieten (lacht).

GOE:

Und es gibt dort Orte, an die man kommt, die wirklich einzigartig sind. Mir würde da Delphi einfallen, wenn man denn da oben steht. Da stören natürlich manchmal die Touristenmengen. Aber wenn man dort ist, ist das wirklich eine einzigartige Atmosphäre. Mir fällt noch der Aphaia-Tempel auf der Insel Ägina ein, der auch einen Ort bietet, der wirklich einzigartig ist. Dazu gehört eigentlich auch die Akropolis in Athen, aber da ist es immer so voll, dass man kaum etwas spüren kann.

SAA:

Nun muss man ehrlicherweise sagen, dass Griechenlandfahrten auch andere Schulen machen. Aber ich glaube, es ist schon nochmal etwas anderes, wenn man dahin fährt und an bestimmten Stellen die Inschriften sieht und sie auch lesen kann. Dann steht man in Delphi und sieht dieses Wort: Δελφοί, das man schon tausendmal in Texten gelesen hat. Ich glaube aber, was unsere Fahrt wirklich besonders macht, ist auch das Jahrgangsübergreifende. Dieser Moment, den man spätestens bei der Fahrt hat, dass man dadurch einen verbindenden Aspekt hat und als Griechisch-Schüler immer noch einer „besonderen“ Gemeinschaft angehört. Ich glaube, das spielt auch eine Rolle. Dazu gehört auch, dass man in der Schülerbücherei lernen darf.

KAF:

Auch wenn Griechenland natürlich ein sehr besonderer Moment ist, sind es für mich auch die Aha-Momente im Unterricht, die viele aus dem Lateinunterricht kennen, die die Griechisch-Schüler aber gleich nochmal haben. Die Fächer befruchten sich auch gegenseitig, ich habe, während ich das Graecum gemacht habe, gemerkt, dass mir auch für Latein ständig Lichter aufgegangen sind, und ich verstanden haben, wo Dinge überhaupt herkommen. Ich bin grammatikalisch auch noch sicherer geworden, das ist zwar mit Latein auch schon schön, dass man grammatikalisch fest ist. Mit Alt-Griechisch kommt aber noch eine Perspektive dazu. Diese ständigen Aha-Momente machen doch Spaß!

Wie stellen Sie sich eine Zukunft des Faches vor?

SAA:

Nur rosig! (lacht)

GOE:

Es bedarf aber natürlich einer gewissen organisatorischen Voraussetzung, damit das Fach erhalten bleibt. Wir haben die letzten 10 Jahre viel Glück mit dem System gehabt, das wir hier jetzt haben. Dadurch ist Alt-Griechisch erhalten geblieben, und wir hoffen, dass es auch in Zukunft ein System geben wird, das funktioniert.

Wie könnte eine methodische Modernisierung des Faches aussehen?

KAF:

Ich würde sagen, das kann ich aus dem Lateinischen berichten, die Methodik hat sich radikal verändert. Die Modernisierung in den alten Sprachen ist vielleicht sogar tiefgreifender gewesen als in vielen anderen Bereichen. In Latein haben wir uns an der Universität Bücher aus der Nachkriegszeit, aus den 70ern und aus der heutigen Zeit angeguckt. Das, was unsere Eltern und Großeltern an Vorstellungen noch von diesem Unterricht haben, das sind Welten. Ich habe ein Buch aus der Nachkriegszeit gesehen, die hatten in Lektion 45 noch keinen Text.

GOE:

Einzelsätze …

KAF:

Nur Einzelsätze! Reine Grammatik-Übungen. Die ersten Lektionen waren nur Tabellen, erstmal nur völlig inhaltloses Pauken, um dann irgendwann mit den ersten Texten anzufangen. In den 70ern war, durch die großen gesellschaftlichen Umwälzungen, noch einmal der Druck da, sich methodisch zu modernisieren. Ich denke, das ist geschehen.

SAA:

Na gut, aber die 70er sind auch schon wieder fünfzig Jahre her. Wenn es jetzt darum geht, wie weit die Digitalisierung stattgefunden hat, muss man sagen, dass es noch Möglichkeiten gibt, die wir noch nicht ausgeschöpft haben. Die Digitalisierung können wir auch auf das Vokabellernen anwenden. Ich kann jetzt über das Flashcard-System ANKI zu den Vokabeln die Aussprache einsprechen. Das ist gerade am Anfang wichtig, wenn man gleichzeitig Schrift und Sprache lernen muss. Das ist eben eine Möglichkeit, die ich vor zehn Jahren noch nicht hatte.

KAF:

Vielleicht kann man noch die Alt-Griechisch-Fachtagung anführen, die wir hier hatten. Ein Kollege hatte eine Playstation dabei für das Videospiel „Assassin’s Creed Odyssey“. Dort haben sie mit enormer Hingabe antike Städte dargestellt, die man durchwandern kann. Das kann im Unterricht auch benutzt werden.

GOE:

Also dort kann man an einen Ort wie Epidauros gehen und sieht da wirklich einen rekonstruierten Tempel stehen, und die Türen gehen auf. Wenn wir da bei der Studienfahrt langgehen, sind da fast nur Trümmersteine und viel Wiese. Das Spiel ist wirklich großartig!

SAA:

Inzwischen hat man auch ganz andere Möglichkeiten, Inhalte zu erfassen. Es gibt ein Projekt zu Entfernungen in der Antike, in dem man die gesamte Welt aufrufen und sich Reisedauer und Kommunikationswege angucken kann. Als wir nur Videokonferenzen machen konnten, habe ich in der Schülerbücherei ein Heftchen aus den 60ern gefunden, mit ägyptischen Papyri auf Griechisch. Das waren Alltags-Papyri, wirklich einfache Leute, die Briefe auf Papyrus geschrieben haben. Dann konnte ich auf eine Papyrus-Datenbank zugreifen, in der ich eben das, was ich hier als Druck hatte, auch im Original angucken konnte. Ich habe dann wirklichen Zugriff auf Material, auch wissenschaftliches gehabt, das ich sonst vor 10-15 Jahren nie in die Finger bekommen hätte. Ich kann auch meinen Schüler*innen mal zeigen, was sie eigentlich in Textform dort vor sich liegen haben, wie das wirklich ausgesehen hat.

KAF:

Wie soll man auch zeitlose Inhalte modernisieren?

Das Abgefahrene ist doch, dass das, was die Menschen der Antike geschrieben haben, immer noch hochmodern ist. Das ist doch irgendwo auch der Charme!

Was möchten Sie zukünftigen Griechisch-Schüler*innen mit auf den Weg geben:

KAF:

Lasst euch das nicht entgehen!

GOE:

Es lohnt sich immer!

SAA:

Nutzt die Chance!

 

Besser können wir dieses tolle Fach auch nicht bewerben und deshalb geben wir Euch all diese Argumente bei Eurer Entscheidungsfindung mit auf den Weg!

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