Wir gehen zurück in das Jahre 1590, ein Abend im Spätherbst. Im Stockdunkeln kommen drei Männer, jeder mit einer leuchtenden Laterne bestückt, die Glockengießerstraße herauf. Aus ihren munter geführten Unterhaltungen geht hervor, dass sie nicht nur einen feucht-fröhlichen Abend genossen haben, sondern auch dem Lehrpersonal des Katharineums angehören. An der Ecke der Kirche halten sie ein und verabschieden sich, nicht gerade leise. Keiner bemerkt die Gestalt, die sich aus den finsteren Ecken der Pfaffenstraße herausschleicht und an der gegenüberliegenden Häuserreihe herumdruckt. Die praeceptores juventutis zerstreuen sich, ein jeder nach Haus.
Einer, in den Lehrerwohnungen des Katharineums mit Frau und zweijährigem Kind wohnend, schickt sich gerade an, die Eingangstür aufzuschließen, als eben diese Gestalt ihn von hinten packt, überfällt und mit einem häufig getragenen Stoßdegen niedersticht.
Der Betroffene bringt einen einzigen herzzerreißenden Schrei hervor, dieser veranlasst den Meuchelmörder von Profession das Gesicht seines Opfers genauer zu betrachten. Er flüstert von Entsetzen gepackt: „O mein Gott, es galt ja gar nicht Euch!“ und sucht das Weite.
Alarmiert vom Schrei eilen seine Kollegen zurück und erstarren beim Anblick des blutspuckenden Freundes. Der unglücklich verwechselte Dr. med. Nikolaus Jungius findet in diesem Augenblick sein Ende. Totenstille, nur die Turmuhr läutet Mitternacht.
Wenige Tage später erfolgt die Trauerfeier in der Katharinenkirche. Schüler organisieren zudem eine Gedenkprozession an dem Ort des Geschehens – dem Umgang des St. Katharinen.
Doch damit endet diese Geschichte nicht.
Der Moral der Zeit entsprechend heiratet der Ersatzlehrer, Martinus Nordmann, die Ehefrau und Mutter des kleinen Kindes, Brigitte Jungius. Der damals zweijährige Sohn, Joachim Jungius, und sie müssen die Wohnung und den Lebensstandard nicht aufgeben und Joachim ist es möglich, das Katharineum zu besuchen. Er wächst zu einer bedeutenden Persönlichkeit heran, beherrscht Hebräisch, Griechisch und Latein, wird von Leibniz gepriesener Mathematiker und Botaniker, praktiziert als Arzt und wird Rektor des Johanneums zu Hamburg.
An einem Herbstabend des Jahres 1657 stirbt er eines natürlichen Todes.
Vielen Dank an Frau Saage zur Bereitstellung des Quellenmaterials!
Quelle: Robert Avé-Lallemants „Das Leben des Dr. med. Joachim Jungius“, Breslau 1882
Marlene Grundey, ehemalige Redakteurin des Website-Teams