… Liebe, Liebe lass mich los….!
Das Wort „Liebe“ weckte im Lateinkurs sofort positive Gedanken: erste Liebe, Schmetterlinge, Valentinstag, rote Rosen, Kerzenschein, Sonnenuntergang …
Dass die Schüler*innen des Profilkurses Latein der Q1b dann im Unterricht aber ziemlich bald über die Worte „Me miserum“ (dt.: Ach, ich Armer!) in Ovids Amores stolperten, kam überraschend. „ROMA est AMOR – Ich bin dir verfallen, geliebte Schlampe“ lautete die Unterrichtseinheit und sie sorgte in der Tat für reichlich Irritation, da mit Ernüchterung festgestellt werden musste, dass die Liebe den Menschen leider oft auch ein böses zweites Gesicht zeigt: den Liebeskummer, der ganz krank machen kann.
Ovids lyrisches Ich schildert in den Elegien (= Klagelieder) zwar hocherotische Mittagsstunden mit Corinna („Ecce, Corinna venit […]“), muss aber auch erleben, dass diese überaus attraktive Römerin ihre Reize nicht nur mit ihm teilt … Schade! Aber warum schnüffelt der Betrogene hinter dieser Corinna weiter her und kann sich innerlich nicht von ihr trennen? Tja, Vernunft und Begehren sind zweierlei:
Facta merent odium, facies exorat amorem —
(dt.: Ihre Taten verdienen Verachtung, aber ihre Schönheit macht mich an.)
Obwohl sich hier die Liebe nicht von ihrer besten Seite zeigt, haben gerade diese Corinna-Elegien einige Jahrhunderte später den Womenizer Goethe zu eigenen Versen animiert.
Die Profilschüler*innen – durch die Weimar-Fahrt im September und den Deutschunterricht mit Goethe-Wissen bestens ausgestattet – erarbeiteten sich dessen „5. Römische Elegie“ vergleichend zum lateinischen Original und stellten fest, dass zwar Hexameter und Pentameter dem Dichter-Gott der Weimarer Klassik nicht immer so geschmeidig von der Feder tropften wie seinem antiken Vorbild, er ansonsten aber auf seiner italienischen Reise im Bett einer jungen Schönheit zu reichlich Wissen gelangt ist:
Und belehr’ ich mich nicht, wenn ich des lieblichen Busens
Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab.
Dann versteh’ ich den Marmor erst recht: ich denk’ und vergleiche,
Sehe mit fühlendem Aug’, fühle mit sehender Hand.
Zunächst scheint es also, als habe Goethe glücklichere Stunden erlebt als Ovids betrogenes lyrisches Ich, jedoch zurück im kalten Deutschland, muss auch der Dichter feststellen, dass Liebe manchmal Leiden heißt, und so klingen spätere Verse (schon nicht mehr im antiken Versmaß) dann wieder ganz nach Ovid:
Und an diesem Zauberfädchen,
Das sich nicht zerreißen lässt,
Hält das liebe lose Mädchen
Mich so wider Willen fest;
Liebe ist eben eine komplizierte Angelegenheit! Der Film-Klassiker „Tatsächlich Liebe“, der im Unterricht natürlich nicht fehlen durfte, zeigt ja sehr eindrücklich, dass Liebe und Leiden uns heute noch genauso tief treffen wie die Menschen vor 2000 oder 200 Jahren. „Was ist schlimmer als die unsäglichen Qualen des Verliebtseins?“ fragt der zehnjährige Sam seinen Vater. Und Hugh Grant als frisch verliebter Premierminister wendet sich verzweifelt an das Porträt Margaret Thatchers mit den Worten: „Hattest du auch solche Probleme?“ Klingt nicht viel anders als das „Me miserum!“ bei Ovid, oder?
Der Profilkurs wird daher das Phänomen Liebe noch etwas vertiefen – in der Reihe „Warum hast du nicht angerufen, du Mistkerl?“ kommen mythologische Frauen zu Wort, die mit ihren Liebhabern abrechnen.