Städtisches Gymnasium mit altsprachlichem Zweig | seit 1531

#stayhome – Eine Chronik der Langeweile

DER JAHRESRÜCKBLICK 2019

Aus dem Leben.

Apokalypse Tag 1

Mit nun schon zwei Freunden, die sich eine Glatze geschnitten haben, beginne ich zu bezweifeln, dass es nicht mehr in Zusammenhang mit dem Corona-Virus steht. Auch nach ausgiebigen Verhören konnte ich ihnen jedoch nicht entlocken, ob sie in Verbindung mit der Coronamafia stehen würden. Von der  hatte ich entfernt gehört.

Die Busse fahren allerdings noch, also muss die Mafia noch nicht sauber genug gearbeitet haben. Überall ist noch Bier zu kaufen (eine Sorte ist dabei sehr gefragt, Experten verstehen), sowie Popcorn, Chips und all der Kram, vor den unsere Eltern uns warnen, aber wer kann Verzicht üben, wenn der mögliche Tod doch so greifbar sein könnte.

Das Kino ist noch geöffnet, ein kleiner Trostpreis immerhin dafür, dass mein letztes Date auf Grund der Absagen von Fußballspielen ins Wasser gefallen ist – ich hatte mich doch so gefreut. In diesem Hinblick aber kann ich Corona danken, wie ich bald rausfinden werde (Grüße gehen raus an ) … Aber auch nur in dieser Hinsicht, denn meiner Lieblingskassiererin kann ich nicht mal mehr den Hals küssen, ohne, dass die Leute vorwufsvoll blicken, wer hält das nur aus?

Apokalypse Tag 2

Das Kloopapier ist aus, einfach weg… Der erstaunte Regallagereinräumer ist auch keine große Hilfe; auf meine Frage des Verbleibes stottert er nur „wird nachgeschoben, Frau Merkel hat’s versprochen“. Er sieht eh nur aus wie ein Schüler, der, fünf Wochen Freizeit vor sich sehend, schnell einen Job ergattert hat, der auch in Krisensituationen benötigt wird, Nahrungsheranschaffer. In Gedanken muss ich ihm meinen Respekt aussprechen, einen Punkt für ihn.

Als ich nach Hause komme, greifen mich meine Geschwister förmlich an und lechzen nach Klopapier, doch den Kampf hatte ich nun einmal verloren, ihre enttäuschten Augen werden mich noch in meinen Träumen verfolgen. Dazu kommt, dass sie alle Bars und Clubs schließen lassen, und die SCHULEN, wer hält das noch aus??

Ganz offensichtlich der Kläffer meiner Nachbarn, er bellt, als müsste er nicht wissen, dass wir uns alle in Trauerhaltung und Rücksichtnahme befinden sollten, was ein respektloser Hund, und so wenig menschlich.

Apokalypse Tag 3

Das Radio ist auf dauerstumm gestellt, mein Schulrucksack liegt verloren in der Ecke und sieht mich vorwurfsvoll an, doch ich habe genug von der Welt. Eine kurze Auszeit von „Tipps und Tricks in der Coronakrise“, „Lieder für den Unterstützungswillen“ oder einfach den Nachrichten im Allgemeinen. Ja ja, Politikverdrossenheit in seiner ganzen Pracht, tut mir leid, lieber WiPo-Lehrer, aber wie heißt es so schön, wo ein Tief ist, da kommt auch wieder ein Hoch und auf das warte ich dann mal.

Apokalypse Tag 4

Warum habe ich mir nur jemals ein E-Mail-Postfach eingerichtet und warum dachte ich jemals, dass es eine gute Idee wäre, dass mal zu checken? Meine Gedanken schweifen um meine Idee, mich einfach absichtlich anstecken zu lassen, um die Coronaferien immerhin mit mehr als dem Löschen von Spam-Mails zu füllen, welche mir Arzneien gegen DIE Krankheit anraten, die mir schon beim Lesen des Namens äußerst, naja, kreativ vorkommt.

„Ich wurde angesteckt“, ich muss zugeben, dass hätte schon einen gewissen Klang, ja, das könnte man gut auf einfach all die netten „Bleiben Sie gesund“-Wünsche erwidern, das hätte irgendwie Witz. Dann bekommt meine Mutter von einer Arztfreundin, im seelischen Ausnahmezustand und von Hysterie nur einen Deut entfernt, Besuch und ich kann nicht verbergen, dass ich mich meiner egoistischen Gedanken ein wenig schäme. Obwohl, die Öffnungszeiten des nächsten Supermarkts schaue ich dann doch noch einmal nach, ein anderer dieses Mal, ich will ja immerhin Reserven anlegen können. Wow sogar eine Auswahl an Klopapier haben die, nicht schlecht …

Apokalypse Tag 5

Ich hab’s schon immer gewusst, Isolation bringt entweder das Beste oder das Schlechteste in den Menschen zum Vorschein, bei mir scheint es letzteres zu sein, ich mutiere:

Früher habe ich mich vergnügt, hatte Spaß, doch nun kann ich nicht mal mehr meine Klausuren verbrennen, ohne, dass eine gewisse Melancholie hochkommt. Das Leben ist einfach nicht mehr wie vorher. Bücher auf Rechtschreibfehler zu durchforsten, macht keinen Spaß mehr, da die Autoren wahrscheinlich eh alle sterben werden, bevor sie meine Kritikschreiben erhalten werden; meine Geschwister zu ärgern, erfreut nicht, weil ich ihnen in meinem Testament eh alles vermache und sie schon bald sehen werden, dass ich sie ja doch lieb habe; auch nicht, meinem Vater beim Wäsche zusammenlegen zu helfen, da er in der Zwischenzeit, in der meine Großmutter hysterisch alles gewaschen hat, was nicht nied- und nagelfest war (mit 50% Desinfektionsmittel im Waschpulver versteht sich), sehr schnell gelernt hat, wie es geht und ich nichts mehr zum Lachen habe; doch am schlimmsten ist, dass der Bau des Casinos gegenüber erstmal auf Eis gelegt worden ist, da die Besitzerin überlegt, ob diese Branche überhaupt noch eine Zukunft hat. Meine Geldverdienen-Pläne sind damit bis auf weiteres ebenso Schrott wie der Mundschutz mit dem das Kleinkind von gegenüber Zerreißproben anstellt; ganz offensichtlich auch mit den Nerven der Eltern.

Schon Pech sich so etwas in diesen Zeiten angelegt zu haben, ich hätte ja mehr in Desinfektionsmittel oder eine private Krankenversicherung investiert …

Apokalypse Tag 6

Ja, ein Magnet macht unterschiedliche Geräusche in Abhängigkeit zu der Weite, mit der man ihn gegen den Kühlschrank wirft und ja ich vermisse Touristen. Sogar solche, die wie selbstverständlich Fotos von lebenden Personen und nicht nur dem wirklich schönen, geschichtsträchtigem Altstadthaus machen, ja sogar die, die einen fragen, wo denn das nächste öffentliche Klo sei. Ich vermisse die knutschenden Teenager in unserem Torbogen, die verhuschten Anzugträger, die lärmenden Großfamilien, die Bibel anbietenden Christen, die sich so oft unsere Straße aussuchen. Kurz um, ich vermisse Menschen.

Apokalypse Tag 7

Ich überlege, mir auch eine Glatze zu schneiden und vielleicht einen Piercing zu stechen, denn selbst das Wetter ist gleichbleibend schön, meine Eltern sind meist bei der Arbeit oder im Garten, meine Geschwister versuchen den Spagat zwischen Schularbeiten, Kuchen backen und Fernsehen und ich bin ganz entsetzt von so viel Harmonie.

Meine sieben, obligatorisch im Regal stehenden, Bücher habe ich bereits ZWEIMAL gelesen und ich liebäugele gerade ernsthaft damit, mein Zimmer aufzuräumen, irgendetwas ist nicht normal. Deshalb muss Veränderung her, also entweder ich schneide mir eine Glatzte oder ich melde mich für Freiwilligenarbeit im Sinne der Coronabekämpfung – die Qual der Wahl.

Apokalypse Tag 8

Mein Frisörtermin wurde abgesagt! Damit fällt die Freiwilligenarbeit dann leider auch flach, denn im Sinn der Revolution kann ich mit meinen miserabel selbstgefärbten Haaren (es erschien mir als ganz gute Zwischenlösung, andere bezeichnen es möglicherweise auch als Feigheit) nicht vor die Tür.

Ich habe doch tatsächlich mit meiner Schwester über den Verschleiß von Haargummies diskutiert: Ihrer Meinung nach ist der überall gleich, ich hingegen finde es nicht falsch zu sagen, dass sie auf den begrenzten Quadratmetern schneller und überhaupt besser zu finden sein müssten. Der gekonnte Leser merkt hier das immer mehr herabsinkende Niveau der geistigen Verfassung meinerseits. Da ich von weltpolitischen Themen nicht mehr höre als DIE Krankheit – Erklärung: Der Tatsache, dass ich mein Kind vielleicht eines Tages so nennen will (ich meine, das Wort ist sehr wohlklingend), ist geschuldet, dass ich mich weigere, „Corona“ noch öfter zu sagen, als unbedingt nötig; und außerdem, weil ich ein großer Fan von Kompliziertem bin –, würde ich mich sehr gerne mit meiner Familie über Konfliktsituationen oder Erfindungen in Indien unterhalten. Aber ohne Fakten ist da wenig zu machen. Ein kleiner Wink an geschätzte Pressefutzis …

Apokalypse Tag 9

Meine Waage MUSS kaputt sein, laut ihr soll ich eineinhalb Kilo zugenommen haben! Obwohl, ein Kilo kann man doch auch dem durchaus großen und dicken Handtuch zuschieben, nicht? Doch auch ohne ist die Zahl kaum verändert. Da ich eine Schwangerschaft hoffentlich ausschließe, habe ich die Waage kurzer Hand weggeschmissen, dummes Ding.

Meine Leidenschaft für Videospiele ist entfacht und ich klammere mich an diesen Grashalm, ich kann mittlerweile sogar die meisten Fußballteams und deren Spieler wiedererkennen, die Grafik von fifa begeistert mich wirklich! Leider werde ich mein neu gewonnenes Interesse nicht lange halten können, wenn die gesamte Bundesliga lahm liegt, ich meine, wie soll ich da üben?

Apokalypse Tag 10

Das Wetter ist schlechter geworden und ich frohlocke, Schnee am Morgen, genau meine Jahreszeit. Nun habe ich kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich die Abspanne von Filmen bis zum Ende anschaue, die Namen bis zum Displayende verfolge und zurückspule, wenn ich mit dem Lesen nicht mehr hinterherkomme.

Einen Nachteil muss ich dem Wetter aber doch entgegenwerfen, auch die anderen Familienmitglieder bleiben drinnen, ALLE …

Meine Schwester vergräbt sich in ihrem Zimmer und verschwendet ihre Jugend mit komischen Vampirsoaps, mein Bruder hat die Caoch beschlagnahmt und verbreitet einen nicht mal mit Lieblingsparfüm zu überdeckenden Teenager- Geruch, weshalb ich das Wohnzimmer eher meide. In der Küche, in die ich mich verdrücke, werkelt meine Oma herum, versucht mich davon zu überzeugen, dass alles Lügenpresse der Amerikaner, Russen oder abwechslungsweise Chinesen sei und Deutschland aus lauter Feigheit, denen die Stirn zu bieten, mitmache und dass man das ja wohl an ihrer stabilen Gesundheit sehen könne. Sie kocht währenddessen alle möglichen Arten Gemüse ein, nur so für den Fall, es könnte doch rein theoretisch irgendwas entfernt Richtiges in diesen Nachrichten stecken und die Supermärkte könnten doch noch geschlossen werden. Ich schiebe das auf ihre Kindheit, immerhin war sie 1945 drei Jahre alt, da ist es ja nur natürlich, dass die Hungersnot immer noch in ihr steckt, versteht sich. Nach meinem Pflichtanteil, eine gute Enkelin zu sein (ich habe zehn Mohrrüben geschält), schleiche ich in mein Zimmer zurück. Gehen geht leider nicht, da meine Mutter im Nebenzimmer zu Hause arbeitet und auf einmal eine überdurchschnittlich gute Hörkraft und eine doppelt so niedrigere Toleranzgrenze bekommen hat.

Ich muss mir ein tonloses Hobby suchen, vielleicht irgendetwas mit Licht? Ich probiere es mal mit Kerzen anzünden und von immer weiterer Entfernung versuchen auszupusten, der Spaßfaktor lässt leider schnell nach…

-M.

Comments are closed.