Am 27. Januar wird jährlich anlässlich des Befreiungstages des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau auf der ganzen Welt den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Seit 2020 wird an diesem Tag auch im Katharineum ein Gedenktag durchgeführt. Seit Beginn des Schuljahres arbeitete die Gedenktag-AG an den Konzepten für alle acht Jahrgänge unserer Schule. Am 27.01. war es dann so weit: Trotz der pandemiebedingten Einschränkungen konnte der Shoa-Gedenktag für die meisten Jahrgänge wie geplant stattfinden.
Im Austausch mit Herrn Kogan von der Carlebach-Synagoge haben wir für die fünfte und sechste Klassenstufe Führungen durch die Ausstellung der Synagoge organisiert. Diese wurde im August 2021 eröffnet, nachdem die Synagoge von 2014-2020 umfangreich saniert wurde. Die Ausstellung zeigt die Geschichte des Gebäudes und der Gemeinde in Lübeck. Leider konnten die Führungen im Januar aufgrund der Corona-Pandemie noch nicht stattfinden und wurden in den Februar verschoben.
Aufgrund der hohen Infektionszahlen musste auch der Besuch der Märtyrer Gedenkstätten des E-Jahrgangs leider verschoben werden. (Sobald die geplanten Führungen stattfinden durften, werden wir an dieser Stelle erneut berichten. – Redaktion des Website-Teams).
Was in den restlichen Klassen geschah, berichten nun Mitglieder der Gedenktag-AG:
Die 7. Klassen
Die 7a beschäftigte sich, wie auch die anderen siebten Klassen, anhand einer Stationsarbeit mit dem Roman „Damals war es Friedrich“ von Hans Peter Richter. Der Roman erzählt von einer Freundschaft zwischen dem Ich-Erzähler und der jüdischen Familie Schneider. Deren Sohn, Friedrich, und der Ich-Erzähler wachsen zur Zeit des langsam erstarkenden Nationalsozialismus gemeinsam auf. Da sie im selben Haus wohnen, im gleichen Alter sind und viel Zeit miteinander verbringen dürfen, werden sie schnell gute Freunde. Doch als die Einengung der Juden durch das NS-Regime immer weiter zunimmt, schafft es der Ich-Erzähler kaum Friedrich beizustehen. Langsam beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen und aus der friedlichen Kindheit der beiden Jungen entwickelt sich eine durch Terror geprägte Jugend.
Diese episodenhafte Erzählung „Damals war es Friedrich“ begleitete die siebten Klassen durch den Gedenktag. Zu Beginn haben wir uns jedoch mit dem grundsätzlichen Anliegen des Gedenktages und den wichtigen historischen Daten auseinandergesetzt. Diese waren auch für die zeitliche Einordnung des Buches wichtig. Auch mit dem Autor Hans Peter Richter, der wie seine Protagonisten Friedrich und der Ich-Erzähler im Jahr 1925 geboren ist, haben wir uns kurz beschäftigt.
Obwohl das Buch nur 159 Seiten besitzt, schneidet es viele verschiedene Themenbereiche an. So haben wir uns im Rahmen einer Stationsarbeit jeweils mit einzelnen Aspekten und Kapiteln des Buches auseinandergesetzt. Dafür war die Klasse zunächst in Gruppen aufgeteilt, später kamen wir dann alle wieder zusammen und haben einander die Ergebnisse der Stationsarbeit vorgestellt. Darunter hatten wir zum Beispiel eine PowerPoint-Präsentation zum Thema „Vorurteile“, einen sehr eindrücklich gespielten Dialog zwischen zwei Figuren des Buches, ein Lernplakat, eine Einladung zu einer Bar-Mizwa sowie Standbilder zum Thema „Ausgrenzung“.
Am Ende des Tages haben wir noch einmal gemeinsam über den Titel „Damals war es Friedrich“ nachgedacht. Wofür steht das „Damals“ und wofür „Friedrich“? Wodurch könnte man einzelne Worte des Titels ersetzen? Es hat mich sehr beeindruckt und gefreut, wie sehr sich alle Schüler:innen der 7a eingebracht und mitgedacht haben.
Die 8. Klassen
Das Programm für die achten Klassen am diesjährigen Shoa-Gedenktag war zweigeteilt:
Zuerst guckten die Schüler:innen den Film „Das Tagebuch der Anne Frank“, in dem das Einzelschicksal Annelies Marie Franks thematisiert wird. Im Anschluss hörten die Schüler:innen einen Vortrag über die Eskalation der Judenpolitik. Er begann mit der Herrschaftsübernahme der Nationalsozialisten und thematisierte die Nürnberger Rassengesetze sowie die Novemberpogrome. Hierzu wurden den Schüler:innen auch Videos gezeigt, die ihnen die Geschehnisse durch die Schilderung von Einzelschicksalen näher brachten.
Anschließend wurden die Ideologien und das Menschenbild der Nationalsozialisten durch einen Auszug aus „Mein Kampf“ herausgearbeitet und im Plenum kritisch diskutiert. Daraufhin ging der Vortrag auf die Verordnungen zur Ausschaltung des jüdischen Wirtschaftslebens ein und endete schließlich mit der Thematisierung des systematischen Völkermordes an den Juden und der Wannsee-Konferenz.
Die 9. Klassen
Zum diesjährigen Shoa-Gedenktag teilten wir das Programm für den neunten Jahrgang in zwei Teile: eine Stadtführung und einen Vortrag mit anschließender Behandlung von Biographien.
In dem Vortrag erfuhren die Schüler:innen von den Wurzeln des Antisemitismus in der deutschen Geschichte, angefangen im Deutschen Kaiserreich. Weiter behandelten wir den Nationalsozialismus vor und während des Zweiten Weltkriegs, wobei die Wannseekonferenz eine zentrale Rolle einnahm. Zu dieser sahen die Schüler:innen zudem eine Filmszene aus dem gleichnamigen Film, bevor der Vortrag mit der Geschichte der Konzentrations- und Vernichtungslager endete.
Zum Ende der Doppelstunde lasen die Schüler:innen Biographien über einzelne Schicksale von jüdischen Menschen aus Lübeck, wodurch ein Bezug zur eigenen Realität hergestellt wurde.
Der andere Teil des Programms für die 9.Klasse war eine Stadtführung durch Lübeck in Bezug auf jüdisches Leben und die NS-Zeit. So befasste man sich z.B genauer mit Erich Mühsam oder der Lübecker Synagoge. Im Rahmen der Führung wurde allerlei Interessantes zu den verschiedenen Stationen erzählt. Wir hoffen, dass die Schülerinnen und Schüler viel über diese Zeit mitgenommen haben und auch Rückschlüsse auf unsere Stadt ziehen konnten.
Der Q1-Jahrgang
Beim diesjährigen Shoa-Gedenktag hatte der Q1-Jahrgang eine virtuelle Begegnung mit einer Shoa-Überlebenden. Da dies aber nur am 26. Januar möglich war, fand das Gespräch schon einen Tag früher statt. Also versammelte sich der gesamte Jahrgang in der dritten und vierten Stunde in der Aula, um die Geschichte von Batsheva Dagan zu hören. Bevor die Videokonferenz startete hielt unsere Schüler:innensprecherin Greta (Q2) einen kurzen Vortrag über das Leben von Badsheva Dagan bis 1945, da es im Gespräch eher um die Zeit danach gehen sollte.
An der Videokonferenz nahmen zusätzlich zum Katharineum noch weitere Schulen teil. Da Batsheva Dagan 97 Jahre alt ist, konnte sie nicht mehr so gut chronologisch erzählen und wurde daher von jemandem, der sie in Israel in ihrer Wohnung besucht hat, durch das Gespräch geführt. Dabei ging sie auf Fragen ein, die im Vorhinein gestellt werden konnten. Im Anschluss an das Gespräch wurde noch der Kurzfilm “Chika, die Hündin im Ghetto” zu dem gleichnamigen Buch von Batsheva Dagan geschaut. Es war eine sehr besondere Erfahrung, einen Menschen kennenlernen zu können, der den Holocaust überlebt hat. Dies hat einem eine emotionale Perspektive geboten, zu der nicht viele die Möglichkeit haben.
Der Q2-Jahrgang
Auch der Q2-Jahrgang hat sich trotz der anstehenden Abiturprüfungen an diesem Donnerstag in der Aula versammelt, um zu erinnern. Der Leitfaden dieser Veranstaltung war die Geschichte der Opfer-, Zuschauer-, Mitläufer- und Täterfamilien in zweiter, dritter, und vierter Generation nach der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten.
Bei der inhaltlichen und organisatorischen Ausarbeitung dieses Programms erhielten wir große Unterstützung von Frau Kleine-Wächter und Frau Küpperbusch aus dem Willy-Brandt-Haus in Lübeck, für die wir sehr dankbar sind!
Für die richtige Vermittlung dieses sensiblen Themas standen verschiede Programmpunkte auf der Tagesordnung: Im ersten Teil der Veranstaltung kam Karin Heddinga, Diplompädagogin und Seminarleiterin aus der Gedenkstätte des KZ Neuengamme zu uns in die Aula des Katharineums. Der zweite Teil des Tages setzte sich mit dem Film „Displaced“ auseinander, der eindrücklich die Geschichte der französisch-israelischen Regisseurin Sharon Ryba-Kahn erzählte, die anschließend noch für ein Nachgespräch mit dem Publikum und den Podiums-Mitgliedern, Katja Markmann (Lehrerin am Katharineum und Fachberaterin für kulturelle Bildung) und Simon Fetscher (ehem. Schüler des Katharineums), aus Tel Aviv zugeschaltet wurde. Moderiert wurde der Tag von Carlos Krieger (Schüler, Q1).
Nach dem üblichen Testen, um die Sicherheit für alle Anwesenden zu gewährleisten, fing Frau Heddinga nach einer kurzen Einleitung um 8:30 Uhr mit ihrem Vortrag an. Sie berichtete ausführlich von ihrer Arbeit in der Gedenkstätte und wie sie sich vor Ort mit Menschen der Folgegenerationen auseinandersetzen. Die Schülerinnen und Schüler lernten viel über die Recherchemethoden, mit denen man die Geschichten seiner Vorfahren ermitteln kann und wie man anschließend damit umgeht, sprich: Was ist, wenn mein Opa Teil der SS war? Wie gehe ich mit historischen Dokumenten um (Protokolle, Verträge, etc.)? Außerdem wurde von Einzelbeispielen berichtet, die so während der Seminare in Neuengamme ermittelt wurden.
Informiert und angeregt durch den Vortrag von Frau Heddinga hatten die Abiturientinnen und Abiturienten nun Gelegenheit, über ihre eigene familiäre Vergangenheit in Gruppen zu sprechen. Für 30 Minuten konnte man viele interessierte und konzentrierte Gesprächsrunden verfolgen. Das Zusammentragen im Anschluss hat offengelegt, wie faszinierend aber auch überfordernd jene Vergangenheit sein kann. Die Schülerinnen und Schüler der Q2 sprachen anschließend von bedrückenden Erkenntnissen und mulmigen Gefühlen, die sie im Austausch erhalten haben, aber auch von Erleichterung, indem darüber gesprochen wurde. Ein sehr packender Moment!!
Nach einer kurzen Pause ging es zum zweiten Punkt der Tagesordnung über: dem Film „Displaced“. Vorab stellte sich Frau Ryba-Kahn, über BBB aus Tel Aviv zugeschaltet, kurz vor und sagte einige Worte zu ihrem Film, der im Anschluss gezeigt wurde. 90 Minuten lang verfolgten alle Schülerinnen und Schüler der Q2 das zweite große Werk der jungen Regisseurin, die selbst die Hauptprotagonistin ihres dokumentarischen Filmes war. Ein Film, der eindrücklich zeigte, wie das Leben für eine Jüdin in Deutschland fast 80 Jahre nach der Shoa ist und wie die Traumata der ersten Generation auch in der dritten Generation, wenn auch anders, immer noch aktuell sind.
Ein Film, der eines anschließenden Austausches bedarf, dem durch das Nachgespräch, moderiert von Carlos, Platz geboten wurde. Neben Frau Ryba-Kahns eigenen Eindrücken in und außerhalb des Filmes beantwortete auch Frau Markmann Fragen bezüglich ihrer eigenen Familiengeschichte. Simon Fetscher bot zusätzlich Einblicke in die Entstehung des Gedenktages an unserer Schule und berichtete von seinen Erfahrungen, die er auf seiner zweiwöchigen Israel-Fahrt im Jahr 2019 gesammelt hat.
Alles in allem wurde den Schülerinnen und Schülern des Q2 Jahrganges ein abwechslungsreiches, informatives und bewegendes Programm gezeigt, welches einem Vergessen dieser grausamen Zeit entgegenwirken konnte.
Wir haben uns darüber gefreut, dass wir in den meisten Klassen auf großes Interesse gestoßen sind und bedanken uns auch bei den Lehrkräften für Ihre Unterstützung am Gedenktag!
Wie relevant ein solcher Tag des Gedenkens, der Aufklärungsarbeit und der Sensibilisierung ist, zeigt nur beispielhaft eine kürzlich erschienene Umfrage des World Jewish Congress. Nach dieser können 60 Prozent der Menschen in Deutschland nicht mit Sicherheit beantworten, wie viele Jüdinnen und Juden während der Shoa ermordet wurden. Laut dem Präsidenten des World Jewish Congress wirke die Pandemie wie ein „Brandbeschleuniger“ für Antisemitismus, was unter anderem bei den vermeintlichen Kritiker:innen der Corona-Maßnahmen zu sehen sei, die antisemitische Narrative verbreiten und Antisemitismus dadurch „gesellschaftsfähiger und damit gefährlicher“ machten.
In Anbetracht dieser Tatsachen hoffen wir, durch den Shoa-Gedenktag einen kleinen Teil dazu beitragen zu können, dass Schüler:innen Wert auf einen bewussten Umgang mit der Geschichte legen und somit in der Gesellschaft Antisemitismus und Ausgrenzung vorbeugen und bekämpfen.
Wir als Gedenktag-AG bedanken uns außerdem ganz herzlich bei der Schulleitung und bei Frau Müschen für die Mitarbeit und Unterstützung bei der Planung und Durchführung des diesjährigen Shoa-Gedenktages am Katharineum!
Hoffentlich kann auch 2023 und in den Jahren darauf ein solcher Gedenktag am Katharineum organisiert werden! Wer Interesse hat, in der AG mitzuwirken, kann sich gerne bei Carlos Krieger (kriegeca@katharineum.de) melden!
Louisa van Wees (Q2d), Miriam Fischer (Q2a), Nico Germer (Q2a), Noel Ziebach (Ec), Nelly Karpa (Q1a), Carlos Krieger (Q1a), Greta Radke (Q2a)