Vom verurteilten Straftäter und Neonazi zum ausgebildeten Anti-Gewalt-Trainer und Buddhisten? Philip Schlaffer erzählt in seinem Vortrag eine Geschichte, die viele Fragen aufwirft. Er schildert seinen Weg, vom Täter, nicht nur Beobachter, zurück ins Leben.
Unter anderem berichtet er auch über seine Familie, Menschen, die ihm, trotz allem, offenbar nicht ganz den Rücken kehrten. Von seiner Schwester, die mit 19 auszog. Nicht einfach so, sondern weil sie Angst vor ihm hatte. Seiner Mutter, die nach 20 Jahren Funkstille immer noch die Arme für ihn offenhielt. Oder seinem Vater, der, als die Polizei wegen einer illegalen Waffe im Wohnzimmer stand, die Verantwortung auf sich nahm. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Philip Schlaffer betritt die Bühne. Mit seinem Holzfällerhemd, den Jeans und den kurzen Haaren wirkt er forsch und selbstbewusst, aber nicht übermäßig einschüchternd oder agressiv. Wäre man ihm auf der Straße begegnet, hätte man ihm vermutlich kein größeres Augenmerk geschenkt. Man sieht ihm seine Vergangenheit nicht an. Und genau von der beginnt er nun zu erzählen …
Er wächst mit seiner älteren Schwester und seinen Eltern in Lübeck auf, bis mit etwa acht Jahren das erste einschneidende Erlebnis auf ihn zukommt – ein Umzug nach England. Dadurch lässt der noch junge Philip Schlaffer seine Freunde, seine Heimat und seine geliebte Großmutter in Deutschland zurück. Es dauert eine Weile, bis er sich dort einlebt, doch nach einiger Zeit wird England für ihn zur zweiten Heimat. Das ist der Moment, in dem seine Eltern beschließen, zurück nach Deutschland zu ziehen – und wieder fühlt er sich nicht heimisch.
Mittlerweile ist er um die 15 Jahre alt und geht aufs Gymnasium, landet aber schnell auf der Realschule, da seine Noten sehr schlecht sind. Auch sozial findet er keinen Anschluss und ist ein Außenseiter. Das macht ihn zunehmend wütend. Er schiebt die Schuld für seine Probleme auf seine Eltern, die Lehrer, die anderen Jugendlichen, die Regierung und entwickelt einen wachsenden Hass auf die Menschheit.
Irgendwann begegnet er Leuten, die ihm Zugehörigkeit versprechen, Verständnis, Gleichgesinnte. Und so entscheidet er sich, der rechtsradikalen Partei “Die Heimat” beizutreten. Die versprochenen Gleichgesinnten findet er dort tatsächlich, aber anstatt ihm Frieden zu bringen, nähren sie seinen Hass nur weiter. Schlaffer hängt in seinem Keller rechte verbotene Symbole auf und hört Hassmusik, wodurch er nach und nach die Werte der Partei annimmt.
Nicht nur in seinem Keller hängt er Symbole und Plakate auf, auch an öffentlichen Plätzen. Das und seine weiterwachsende Gewaltbereitschaft sorgen bald für seinen ersten Kontakt mit der Polizei. Das schüchtert ihn jedoch nicht ein – er legt sich mit allem und jedem an, der ihm über den Weg läuft, und “trifft wieder mit den Bullen”, wie er sie heute noch immer nennt, zusammen, wobei “Zusammentreffen” in diesem Fall wohl eine starke Verharmlosung ist. Er beschafft sich auch immer mehr zum Teil verbotene Waffen und prahlt mit ihnen, ist stolz auf diese illegalen Taten.
An dieser Stelle seines Vortrags schaltet Philip Schlaffer von den vorhergegangenen Bildern, die seine Präsentation an die Wand gebeamt begleiten, um zu dem Folgenden: Zu sehen ist ein mittlerweile 17-jähriger Teenager, der angriffslustig in die Kamera blickt. Vor einer Flagge mit rechten Symbolen posiert er stolz mit einem Gewehr in der Hand, einer Kalaschnikow. Aber warum zeigt er das? Unklar bleibt für uns im Publikum zum Teil das Ziel der Darstellung: Was ist noch Prahlerei, was schon wirkliche Selbstkritik? Was ist zur Visualisierung der Ereignisse an sich nötig?
Aufgrund des illegalen Waffenbesitzes und gefährlicher Körperverletzung landet er schließlich vor Gericht und ist von nun an auf Bewährung. Durch seinen Hass auf seine Eltern und seine Schwester, die er als „das Lieblingskind“ empfindet, zerstreitet er sich immer weiter mit seiner Familie. Die Bewährung ändert leider nichts an seinem Verhalten und so wird in dem Haus seiner Familie bald wieder eine unerlaubte Waffe gefunden. Die Polizisten stehen vor ihm und seinen Eltern und fragen nach dem Besitzer der Waffe. Wird ihm diese Waffe zugeordnet, muss er erst einmal ins Gefängnis. Geistesgegenwärtig nimmt sein Vater die Schuld auf sich, obwohl die Familie zerstritten ist. Warum genau sein Vater diese Entscheidung getroffen hat, wisse er selbst nicht genau, so Philip Schlaffer.
Leider ändert die Entscheidung seines Vaters nichts an Schlaffers Einstellung, Hass und Gewalt regieren weiter seinen Alltag. Das macht seiner Schwester irgendwann so große Angst, dass sie es nicht mehr aushält und auszieht.
Auch Schlaffer selbst macht sich bald selbstständig und zieht nach Wismar. Dort gründet er eine neonazistische Kameradschaft mit dem Namen „Kameradschaft Werwolf“. Außerdem besitzt er einen Tattoo-Shop mit dem Namen “Needle Of Pain”, verkauft rechtsextreme, verbotene Musik und lässt sich auch selbst verbotene Tattoos stechen.
Mit seiner Bande verhält er sich weiterhin gewalttätig. Irgendwann wird seine Kameradschaft von anderen Neonazis überfallen. Außerdem begeht einer seiner Bandenmitglieder einen Mord, was Philip Schlaffer dazu veranlasst, aus der Bande auszutreten. Hier hätten wir als Zuhörer gern genauer gewusst, wie Herr Schlaffer es geschafft hat, als Gründer der “Kameradschaft Werwolf” diese Gruppierungen anscheinend so einfach verlassen konnte. Stattdessen wirkt er recht bald bei der Gründung der später verbotenen Rockerbande „Schwarze Schar“ mit und wird bald ihr Präsident.
Hier ist er in den Bereichen organisierte Kriminalität und im Rotlichtmilieu aktiv. Durch Drogenhandel, Prostitution und Gewaltkriminalität verdient er viel Geld und hat viel Macht. Er lässt sich die Namen aller Mitglieder tätowieren, obwohl er eigentlich nur einen oder zwei von ihnen wirklich möge, wie er sagt.
Nach und nach bekommt er Schlafstörungen und Migräne. Beides verschlimmert sich zunehmend und es geht ihm immer schlechter. Er will eigentlich austreten oder darüber reden, wie schlecht es ihm geht, aber er tut es nicht, weil, wie er sagt, die anderen ihn dann für schwach gehalten und nicht mehr respektiert hätten.
Irgendwann wird eines seiner Häuser von der Polizei durchsucht und geräumt, wobei er festgenommen wird. Schlaffer schildert, dass er in der Situation Erleichterung empfunden habe, weil er auf diese Weise aus seiner Zwangslage herausgekommen sei. Die Polizei wäre erstaunt über seine Erleichterung gewesen.
Kurz nach der Verhaftung tritt er dann endlich aus, wodurch er sich die Leute zu Feinden macht, die vorher auf seiner Seite waren. Darüber sagt er später, dass er sich der Gefahr bewusst sei, mit der er darum bis heute lebe. Es sei jedoch ein notwendiger Schritt gewesen und darum würde er nun auch akzeptieren, dass seine alten Leute eine Gefahr für ihn darstellen.
Nun geht es ihm mental sehr schlecht und er wendet sich an die, die er vor Jahren von sich weggeschoben, sie beleidigt und gehasst hat – seine Familie, insbesondere seine Mutter. Er hat seit über zwei Jahren keinen Kontakt mehr mit ihr gehabt und sie liegt im Krankenhaus, kämpft mit dem Krebs und um ihr Leben. Sie tut schließlich etwas, dass Philip seiner Aussage nach vermutlich das Leben gerettet hat: Sie nimmt ihn wieder auf, bietet ihm Hilfe an und stärkt ihm den Rücken.
Dann muss er aufgrund von Steuerhinterziehung während seiner vergangenen Geschäfte ins Gefängnis. Dort vertraut er sich dem Gefängnispsychologen an. Er kämpfe mit starken Schuldgefühlen seinen Opfern gegenüber, sagt er während des Vortrags, und habe sich mehrere Monate lang nicht selbst ins Gesicht schauen, den Spiegel sogar abhängen müssen …
In dieser Zeit wird er Buddhist, da dies laut ihm seine Weltansicht und Ziele im Leben am besten repräsentiere. Auch wenn er wisse, sagt Schlaffer, dass das seine Taten nicht wiedergutmache, entschuldige er sich bei seinen Opfern und setze sich mit seinen Taten auseinander. Doch verständlicher- und berechtigterweise verzeihen ihm nicht alle: Der Bürgermeister von Wismar beispielsweise weigert sich bis heute, mit ihm zu reden. Die Bindungen zu seiner Familie baue er langsam wieder auf.
Seine Mutter überlebt den Krebs. Er beschließt, seine Geschichte öffentlich und in Schulen zu erzählen, um seine Botschaft, dass es nie zu spät sei, sich von schlechten Taten und krimineller Vergangenheit loszumachen, weiterzutragen. Er macht eine Ausbildung als Anti-Gewalt- und Deradikalisierungstrainer und setzt sich gegen Rechtsextremismus ein. Außerdem veröffentlicht er eine Autobiographie mit dem Titel „Hass. Macht. Gewalt.“
So beendet Philip Schlaffer seinen Vortrag über seine “Vergangenheit” und bedankt sich fürs Zuhören.
Ja, es geht um die persönliche Geschichte von Philip Schlaffer. Aber dahinter steht viel mehr, denn Schlaffer ist kein Einzelfall und das, worüber er spricht, liegt nicht hinter uns. Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und politische Radikalisierung sind reale, aktuelle Bedrohungen – mitten in unserer Gesellschaft. Gerade deshalb ist es wichtig solchen Geschichten zuzuhören, aber nicht ohne kritisch zu bleiben. Wie konnte der Ausstieg gelingen? Wie gefährlich ist das Leben von Philip Schlaffer heute? Welche Gefahr geht von seinen ehemaligen “Kameraden” aus?
Wer öffentlich über eigene Taten spricht, spricht immer auch über sich selbst. Wer von sich erzählt, möchte sich auch häufig in ein positives Licht rücken. Deswegen ist es wichtig, nicht einfach Glauben zu schenken, sondern auch Beweise zu fordern, Widersprüche zu finden. Veränderung beginnt nicht in einer öffentlichen Inszenierung, sondern im stillen Nachdenken und im umgesetzten Handeln.
Redaktion des Website-Teams
Für alle, die sich selbst weiter informieren möchten, verlinken wir im Folgenden hilfreiche Seiten und Ausstiegsprogramme:
Bundesamt für Verfassungsschutz
Bundesarbeitsgemeinschaft “Ausstieg zum Einstieg” e.V.




























