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Juniorstudium – zwischen Wahnsinn und Genie

DER JAHRESRÜCKBLICK 2019

Ein Juniorstudium ist eine Gelegenheit sich parallel zur Schule weiterzubilden. Ja, man kann auch als Schüler:in studieren. Und nein, „hochbegabt“ muss man dafür auch nicht unbedingt sein, vielleicht nur sehr interessiert. Aaron Fischer, Carl Silberbach, Lloyd Meins und Lilli Hermes berichten von ihren Erfahrungen und geben den ein oder anderen Tipp preis.

Distanzlernen ist Alltag für Aaron Fischer: Seit der Quinta studiert der heutige Neuntklässler parallel zur Schule an der Uni Rostock Physik, Mathe und Informatik. Im nächsten Semester soll imperative Programmierung drankommen. Frau Feller hat mit ihm seit der Quarta über Förderprogramme gesprochen, seine Schwester studierte in Rostock schon Biologie. Keine Bewerbung, nur ein Formular der Schule und schon war Aaron stolzer Besitzer eines Studierendenausweises.

Die Vorlesungen werden hochgeladen, finden teilweise aber auch an Präsenztagen statt, die Hausaufgaben werden alle zwei Wochen online abgegeben und vom Mentor der Juniorstudentengruppe korrigiert und bewertet. Die Lerngruppe besteht aus 14 bis 20 Jugendlichen bis zur Klassenstufe 10.

Wie lange die Bearbeitungszeit solcher Uni-Hausaufgaben dauern würde? Schon vier Stunden, manchmal auch bis zu zehn, meint Aaron. Und ja, es mache Spaß, man habe größere Erfolgserlebnisse als in der Schule und es sei immer etwas Spannendes und Neues, auch anders als im Schulunterricht, indem er Zusatzaufgaben abarbeite.

Es geht hier um die Köpfe von morgen, würden einige sagen. Wem das zu hoch gegriffen ist, der kann ja einmal einen Elftklässler fragen, wie er dazu steht, dass ein blondgelockter, kleiner Siebtklässler, wie Aaron es damals war, mit im Physikunterricht sitzt und einem die Lösungen vorsagt.

Wie es mit ihm weitergehe? Den Test der Uni bestehen. Es gibt dort nämlich keine Klausuren, sondern Leistungsabnahmen am Ende eines Semesters.

Und der Traum für die Zeit nach der Schule? Professor für Mathe und Physik wäre extrem cool, die NASA ansonsten auch noch eine Option.

Die Universität Rostock ist Carl Silberbach auch ein Begriff. Als damaliger Neuntklässler studierte er dort ein Semester. Seine Leidenschaft: Chemie, gefolgt von Bio und Mathe. Doch der Präsenzunterricht der Lübecker Uni und ihre Nähe überzeugten ihn, mittlerweile in der Unterprima, zu wechseln. Mit Maria Mathis fing es an, jeden Mittwoch zwei Stunden Privatunterricht beim Matheprofessor. Ab 2019 nahm Carl dann zusammen mit Lloyd Meins, ebenfalls Primaner, komplett am Präsenzunterricht der Universität zu Lübeck teil. Sie sitzen, wenn nicht gerade Corona ist, mit den älteren Kommilitonen in den Vorlesungen, schreiben die gleichen Klausuren, hören drei bis vier Kolloquien pro Jahr und sammeln Scheine für den Bachelor. In den Ferien kann man zudem eine Woche ein Praktikum absolvieren. Im Bereich Biochemie wurden z.B. Klonierungen gemacht.

Die Uni Lübeck sei kleiner und damit familiärer, der Professorenumgang vertrauter als in Rostock. Mit bis zu drei weiteren Jungstudenten würden Carl und Lloyd von einer Koordinatorin betreut, trotzdem bekämen sie nichts geschenkt. „Der Lehrauftrag der Uni liegt beim Schüler, nicht beim Professor“, sagt Lloyd. Eigenständigkeit und Engagement sind also gefragt, und ebenfalls viel Zeit. Zweimal wöchentlich geht man zur Uni anstatt in zwei Stunden WiPo-Unterricht und die Hausaufgaben hat man zu Gunsten der wöchentlichen Uniaufgabe auch nicht immer dabei. Die Lehrer seien aber gutmütig, was die Befreiungen angehe, meinen beide – wer könnte es ihnen verdenken … In anderen Fächern habe er aber durchaus auch mal 11 Punkte, gibt Carl zu. Sich vom Studium der schlechten Noten wegen abhalten ließe er sich deshalb aber nicht. Medizin in unserer Hansestadt könne er sich sehr gut vorstellen, etwas Richtung Biochemie, Hormon- oder Diabetesforschung – Praxisbezug sollte es haben.

Eine Empfehlung Carls ist zudem, dass man sich ein kürzeres Studienfach suchen solle, nur bis zu 6 Stunden, das halte einen schon genug auf Trapp. Außerdem solle man nicht so sehr vor dem hochbegabt auf der Website der Uni Lübeck zurückschrecken: Man müsse nicht hochbegabt sein, sehr engagiert und interessiert in einem Fach reiche auch oftmals schon. Und man könne eine Mail zu Beginn des Studiums an die kommenden Professoren schreiben, das komme immer gut an, wirft Lloyd ein, dann wäre man für die weitere Zeit versichert, sodass in brenzligen Lagen auch mal ein Auge zugedrückt würde.

Ob sie eine Anekdote zu erzählen hätten? Carl lacht: Ein Professor habe beim Halten eines Vortrags auf Nachfrage einer Ausländerin sofort die Sprache gewechselt und das restliche Referat über Biochemie aus dem Stegreif auf Englisch gehalten; das sei schon sehr beeindruckend gewesen.

Ja, stimmt ihm Lloyd zu, die Professoren seien schon sehr beeindruckend. Er zum Beispiel beteilige sich zur Zeit an Forschungen Zero-Knowledge-Proofs aus der Kryptographie und habe regelmäßige Rendezvous mit seinem Professor, um dahingehend Ideen auszutauschen.

Lloyd Meins ist seit Ende der Achten an der Universität zu Lübeck, seit der Quinta nimmt er an Matheunterricht der Oberstufe teil. Er war vor vier Jahren die große Ausnahme, nicht zuletzt durch die Überzeugungskraft Frau Klietschs. Damals stand das Angebot zum Juniorstudium nur für Abiturient:innen, heute gewähren die meisten Universitäten auch schon Jüngeren dieses Recht. Seine Eltern hätten ihn unterstützt, nachdem er sie von seinem Studiumswunsch überzeugte, meint der Elftklässler.

Das Bewerbungsverfahren ist allerdings hier in Lübeck komplizierter. Formulare der Schule, Versicherrungsunterlagen, ein Motivationsschreiben und gerne auch ein Empfehlungsschreiben werden gefordert. Die Universitätsgebühren werden auf Anfrage von der Possehl-Stiftung getragen, man erhält so aber auch leider keine Semestertickets. Lloyd schmunzelt, wenn man allerdings die Studentenmail benutze, bekomme man den Studentenrabatt auch so und es gebe von den meisten anzuschaffenden Büchern mittlerweile auch schon kostenlose E-Book-Auflagen und die Unibücherrei gebe es ja auch immer noch.

Lloyd hat sich schon immer für Mathe interessiert, am Bundeswettbewerb Mathematik teilgenommen. Beim ersten Unibesuch wurde er aber dennoch ins kalte Wasser geschmissen: eine erste Klausur, bei der 60% seiner Kommiliton:innen rausgeflogen sind. Er bestand mit Bestnote. Mathe dient halt immer noch zur Aussiebung, in vielen naturwissenschaftlichen Fächern.

Man muss aber wissen, dass man in die Klausur Zettel mitnehmen darf, sogenannte Open-Book-Klausuren. Mit den Professoren verstehe er sich sehr gut, das Studium sei genau, was er brauche. In Themen tiefer und breiter einsteigen zu können, vor allem im Bereich der theoretischen Informatik, für die sich Lloyd sehr begeistert. Doch die digitalen Klausuren seien auch an der Uni zu Lübeck trotz ihrer hochrangigen Wischenschafftler:innen etwas überhastet gewesen; Corona sei dort vergleichbar mit der Schule eingebrochen, aber man hoffe, dass der Präsenzunterricht bald wieder stattfinden könne. Die Atmosphäre sei einfach so viel schöner in einem vollen Saal …

Von Coronaschließungen ist Lilli Hermes nicht groß betroffen. Die Oboistin absolviert ihr Juniorstudium an der Musikhochschule Lübeck. Denn nicht nur Mathematiker und Naturwissenschaftler können jung studieren, sondern auch Musiker. In der Musik ist die Altersgrenze aber eher tiefer, denn Lilli meint, dass sie mit 17 verspätet angefangen habe; viele fangen eine solche Ausbildung bereits mit zwölf Jahren an.

Ihre Bewerbung habe nicht aus Motivationsschreiben, sondern aus einem Vorspiel bestanden – in Coronazeiten per Video. Ihre Lesungen bestünden, zumindest bei den Instrumenten Oboe und Klavier, aus Einzel-, sowie Theorie- und Gehörbildungsunterricht und ihre Kommilitonen seien andere Jungstudenten, mit denen man auf Klassenabenden zusammen treffe, mit den „richtigen Studierenden“ habe man hingegen selten Kontakt. Eine „coole Sache“ sei es dort, man bereite sich auf die großen Aufnahmeprüfungen der Musikuniversitäten vor und der Unterricht sei im Vergleich zu normalen Einzelstunden günstiger, weil dieser unter die Sparte Studiengebühr falle und nicht einzeln berechnet werde. Aufhören, wann man möchte, könne man übrigens auch immer.

Man sammle keine Punkte für den Bachelor, aber man werde super auf die Aufnahmeprüfungen vorbereitet, sofern man diese machen möchte, und das Schönste sei natürlich, andere junge Musiker:innen kennenzulernen und gemeinsam Musik wie z.B. auf Kammermusikabenden machen zu können.

Nach einem Semester zieht Lilli, frisch gebackene Abiturientin, ein positives Resümee: Es sei einfach eine super Gelegenheit, parallel zum Abi auch musikalisch gut ausgebildet zu werden. Auch wenn man sich nicht zu sicher sein solle, mit einem Juniorstudium direkt einen Platz an einer Uni warmgehalten zu bekommen; die Aufnahmebedingungen würden auch immer noch für sie gelten. Eine Jahresprüfung, in der man ein geplantes Programm und dann ein Stück vom Blatt spielen müsse, helfe einem möglicherweise aber ebenfalls bei der Vorbereitung, entscheide aber ersteinmal über den Verbleib im Jungstudium.

Das Juniorstudium endet übrigens etwa zur Abiturentlassung, dann gilt es die Aufnahmeprüfung zu bestehen, um im Wintersemester als erwachsener Studierender weiterspielen zu können. Lilli hat diesen Plan – Oboe studieren ohne Schule nebenbei.

Vielleicht denkt der ein oder andere ja jetzt über ein Juniorstudium nach oder zumindest darüber, ob er vom Feiervogel nicht doch zum Fleißigen wechseln möchte. Uns haben die Gespräche mit so schlauen Köpfen auf jeden Fall inspiriert, vielen Dank!

Redaktion des Website-Teams

 

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